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Nicht erst seit KI, aber dadurch beflügelt, diskutieren wir darüber, welchen Umfang Arbeit in unserem Leben hat und haben sollte. Ist die 4-Tage-Woche eine Lösung oder zeigt sie nur auf, wie sich unsere Wahrnehmung des Themas verschoben hat? Ist die reine Betrachtung der Arbeitstage vielleicht sogar ein Irrweg?
Immer öfter und lauter werden die Rufe nach neuen Arbeitszeitmodellen. Wir in Westeuropa, die irgendwann einmal von der 6-Tage-Woche auf das gegenwärtig dominierende Modell mit 5 Tagen gewechselt haben, stehen in zahllosen Branchen vor der Tatsache sowie der Herausforderung, dass dieses tradierte Denken von Arbeitszeit hinterfragt wird. Natürlich hat der Wechsel von der Anwesenheit im Büro zu einem immer größeren Anteil von Home- oder Remote-Office diesen Impuls verstärkt. Wir haben Erfahrungen damit sammeln können, wie es ist, wenn wir unsere Arbeit anders strukturieren. Das ist Ansporn genug, jetzt über die neue Verteilung von Arbeit und Freiräumen nachzudenken.
Die 4-Tage-Woche in der Realität
Dieses Modell kann auf verschiedene Weisen umgesetzt werden, um den Bedürfnissen sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber gerecht zu werden. Hier sind die gängigsten Modelle:
Modell 1: Reduzierte Wochenarbeitszeit bei weniger Gehalt
In diesem Modell wird die Gesamtarbeitszeit pro Woche reduziert, was auch eine entsprechende Reduktion des Gehalts zur Folge hat. Ein typisches Beispiel wäre die Reduktion von 40 Stunden auf 32 Stunden pro Woche. Dies bedeutet, dass ein Arbeitnehmer an vier Tagen jeweils 8 Stunden arbeitet und dafür 80% seines ursprünglichen Gehalts erhält. Dieses Modell wird oft als Teilzeitmodell betrachtet, da die Arbeitszeit und das Gehalt proportional reduziert werden.
Beispiel:
– Ursprüngliche Arbeitszeit: 5 Tage à 8 Stunden (40 Stunden/Woche)
– Neue Arbeitszeit: 4 Tage à 8 Stunden (32 Stunden/Woche)
– Gehalt: 80% des ursprünglichen Gehalts
Modell 2: Gleiche Wochenarbeitszeit bei vollem Gehalt
Hier bleibt die Gesamtarbeitszeit pro Woche unverändert, wird jedoch auf vier Tage verteilt. Dies bedeutet längere Arbeitstage, üblicherweise 10 Stunden pro Tag. Das Gehalt bleibt dabei unverändert. Dieses Modell ist besonders attraktiv für Arbeitnehmer, die keine Gehaltseinbußen hinnehmen möchten, aber dennoch von einem zusätzlichen freien Tag profitieren wollen.
Beispiel:
– Ursprüngliche Arbeitszeit: 5 Tage à 8 Stunden (40 Stunden/Woche)
– Neue Arbeitszeit: 4 Tage à 10 Stunden (40 Stunden/Woche)
– Gehalt: 100% des ursprünglichen Gehalts
Modell 3: Reduzierte Wochenarbeitszeit bei vollem Gehalt
Dieses Modell ist für Arbeitnehmer am attraktivsten, da die Gesamtarbeitszeit pro Woche reduziert wird, das Gehalt jedoch unverändert bleibt. Ein Beispiel wäre die Reduktion von 40 Stunden auf 32 Stunden pro Woche, wobei die Arbeitnehmer weiterhin ihr volles Gehalt erhalten. Dieses Modell erfordert jedoch eine signifikante Steigerung der Produktivität, um die reduzierte Arbeitszeit zu kompensieren.
Beispiel:
– Ursprüngliche Arbeitszeit: 5 Tage à 8 Stunden (40 Stunden/Woche)
– Neue Arbeitszeit: 4 Tage à 8 Stunden (32 Stunden/Woche)
– Gehalt: 100% des ursprünglichen Gehalts
Einen Tod muss hier ganz offensichtlich jemand sterben. Wo die Arbeitszeit nur anders verteilt wird, muss man sich mit 10-Stunden-Tagen arrangieren. Wird die Arbeitszeit verkürzt, muss man mit weniger Geld auskommen und bei vollem Lohnausgleich muss der Arbeitgeber sehen, wie er das hinbekommt.
Positive Auswirkungen
Klar, wer weniger Wochentage mit Arbeit verbringt, hat mehr Zeit für andere Dinge zur Verfügung. Familie, Hobbies, Reisen, die Liste lässt sich beliebig erweitern. Besonders das Thema Familie profitiert hier, weil die unvermeidlichen Logistik-Leistungen rund um Kinder sich einfach besser verteilen lassen. Dazu trägt allerdings auch der Faktor Home-Office schon wesentlich bei.
Die Reduktion der Arbeitszeit hat auch direkte positive Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit der Mitarbeiter. Weniger Stress und mehr Zeit für Erholung können zu einer Verringerung von Schlafproblemen, Herzbeschwerden und anderen stressbedingten Gesundheitsproblemen führen. Arbeitnehmer haben mehr Zeit, sich um ihre Gesundheit zu kümmern, sei es durch regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung oder Arztbesuche. In der Folge nehmen sie auch weniger Krankheitstage, was die Bilanz für den Arbeitgeber verbessert.
Negative Auswirkungen
Zunächst einmal birgt die 4-Tage-Woche organisatorische Herausforderungen. Wenn eine Firma die ganze Woche erreichbar sein soll, muss sichergestellt werden, dass sich die Timings der Mitarbeiter nicht so decken, dass es Tage gibt, an denen sich niemand um wichtige Arbeiten
kümmern kann. Kein großes Dilemma, mit entsprechenden Tools lässt sich das planen, das funktioniert ja auch im Home-Office. Doch der „Elefant im Raum“ zeigt sich bei der Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Für den Arbeitgeber steht ganz klar eine Frage im Raum: Wenn der Job auch in 32 Stunden erledigt werden kann, was ist dann bisher falsch gelaufen? In einem kompetitiven Umfeld, wie wir es aktuell nun mal in vielerlei Hinsicht haben, ist es sicher relevant, attraktiv für Arbeitnehmer zu sein. Doch im Kontext von KI, die viele Routinearbeiten erleichtert oder sogar erledigt, kann es ebenso verlockend sein, Arbeitszeit und damit Arbeitsplätze abzubauen.
„Wenn der Job auch in 32 Stunden erledigt werden kann, was ist dann bisher falsch gelaufen?“
Gegenargument: KI hilft dabei, sich auf relevante Aufgaben zu fokussieren und auf diese At produktiver zu sein. Das wird im Übrigen auch der Arbeitszeitverkürzung generell nachgesagt. Seien wir ehrlich: In zahlreichen Unternehmen wird Arbeitszeit „abgesessen“. Nicht nur am Schreibtisch, sondern oft auch in Meetings, Sprints, etc. Das führt allerdings zurück zur Fragestellung, ob all die etablierten Positionen wirklich noch gebraucht werden.
Jetzt keine Panik: Man muss das als Chance begreifen. Lebenszeit am Schreibtisch zu verschwenden, um eine Anwesenheitspflicht zu erfüllen, ist absolut kontraproduktiv. Man stelle sich im Gegenzug den Befreiungsschlag vor, wenn jemand sich mit der Situation konfrontiert sieht, nicht nur weniger Zeit mit Arbeit zu verbringen, sondern diese auch noch mit reizvollen Aufgaben zu füllen. Kreativität wird von Alltagsaufgaben erstickt. Die große To-Do-Liste mit sinnlosen Aufgaben blockiert das Hirn für kreative Prozesse.
Nicht für jedermann
Es bleibt die Frage: In welchen Berufsfeldern lässt sich das umsetzen? In allen, in denen sich Aufgaben auf einen Schwarm aufteilen lassen oder eben auf vier statt fünf Tage verteilt werden können.
Warum Tage? Warum nicht Stunden?
Als jemand, der mit kreativen Aufgaben betraut ist, und so definiert sich der Job des Redakteurs für mich immer noch, macht man die Erfahrung, dass man nicht acht Stunden am Tag wirklich schöpferisch tätig sein kann. Drei, vier Stunden Kreativität sind drin, danach freut man sich wieder auf Routineaufgaben. Nicht unbedingt seriell, sondern auch in bunter Reihenfolge. Dafür hat man die kreativen Momente auch abends, nachts, samstags, sonntags oder sogar in den Ferien. Zumindest ich. Dafür hat sich der schöne Begriff Work-Life-Blend eingebürgert, der die Vermischung von Arbeit und Privatleben beschreibt. Das mag konträr zur Work-Life-Balance klingen, die eine strikte Trennung beinhaltet, ist aber in vielen Jobs das bessere Modell. Zwanghaftes Abschalten unterbricht kreative Prozesse und schafft „Verbotszonen“, ein Unding für alle in Schaffensprozessen, die ihren Job mögen. Wenn die perfekte Idee beim Duschen oder Mittagessen kommt, ist das ebenso Arbeitszeit wie die Stunden am höhenverstellbaren Schreibtisch.