Coworking- und Maker-Space mit besonderen Qualitäten
VIELE DER IN GROSSSTÄDTEN WIE PILZE AUS DEM BODEN SCHIESSENDEN COWORKING-MODELLE SIND VOR ALLEM AUF EINE PROFITMAXIMIERTE FLÄCHENNUTZUNG AUSGELEGT. DER HAFVEN IN HANNOVER HINGEGEN ENTWICKELT DIE URSPRÜNGLICHEN GRUNDLAGEN DES COWORKING WEITER: ER VERSTEHT SICH ALS EINZIGARTIGES LABOR FÜR INNOVATION, VON DEM AUCH ETABLIERTE UNTERNEHMEN UND INSTITUTIONEN PROFITIEREN SOLLEN.
Im Hannover ́schen Stadtteil Nordstadt steht ein Gebäude, das schon auf den ersten Blick mit vertrauten Gewohnheiten bricht und Neugierde weckt: Seine Fassade erinnert an eine asymmetrische Trutzburg, die nach hinten abgeschrägt niedriger wird. Auf einer Seite erschließt eine Rampe den Eingang, auf der gegenüberliegenden Gebäudeseite gibt es ein großes Rollgittertor. Dort wird dann sichtbar, dass die keilförmig aufragende, abweisende Schale nach innen komplett verglast ist und einen offenen Innenhof mit Freitreppe und Terrasse im ersten Stock umschließt.
COWORKING- UND MAKERSPACE
Das Gebäude beherbergt das derzeit wohl innovativste Projekt im Kontext von Coworking- und Makerspace, das im szenetypischen Denglisch den Namen „Hafven“ trägt. Dort steckt der englische Begriff für Oase ebenso drin wie der deutsche Hafen und vielleicht sogar ein bisschen Heaven wie Himmel. Schließlich nimmt der Freiraum unter dem offenen Himmel eine zentrale Bedeutung für den gemeinschaftlichen Spirit ein. So gelang es, 16 Partner aus den Bereichen Industrie, Dienstleistung und Kommune zu gewinnen, die sich mit Ausstattung, Begleitung und Förderung engagieren und gleichzeitig von Erfahrungen und Erkenntnissen im Hafven profitieren.
Das gemeinsame Entwerfen, Entwickeln und Machen schließt die Ausgestaltung der Räume ein. Das Berliner Büro Mensing Timofticiuk Architekten hat mit dem Gebäude einen Rahmen geschaffen, den sich die Community des Hafven in einem „Work in Progress“ sukzessive aneignet und immer wieder anpasst: selbst konzipiert, gestaltet und zum Großteil auch produziert.
So entstand im Erdgeschoß das „Cafve“. Hier wird gesund gekocht und an alten Werkbänken gegessen, gefeiert und gearbeitet. Von dort geht es in den Makerspace, der als „Fabrication Laboratory“ (FabLab) für Laien wie für Profis Zugang zu Holz-, Metall- und Textilwerkstätten, Do-it-Yourself-Ecke, 3D-Druckern und Töpferofen bietet.
Mit Veranstaltungen und Kursen werden den Mitgliedern wie der Öffentlichkeit vielfältige Anlässe geboten, sich zu treffen und Neues zu lernen: von Meditation über Zeichnen, 3D-Druck und Holz- und Metallbearbeitung bis zu Reiseberichten, Sticken, Multimedia, Robotik oder Gründerseminaren.
IN-RAUM-MODULE UND MASSARBEIT
Über dem Cafve befindet sich der Coworking-Space, der mit der ansteigenden Decke für ruhiges, konzentriertes Arbeiten konzipiert ist. Dafür wurden zweigeschossige Raum-in-Raum-Module aus Holz entwickelt: zum Arbeiten, zum Telefonieren im akustisch gekapselten Raum oder zum Relaxen. Die Tische sind selbst gebaut, als Bürostühle werden diejenigen Wilkhahn-Modelle genutzt, die auch im Makerspace eingesetzt werden: Sie verbinden professionellen Sitz- und Bewegungskomfort mit einfachster Bedienbarkeit, pflegeleichter Handhabung, Reparaturfreundlichkeit und einer nahezu „unkaputtbaren“ Qualität. „Sharing“ bedeutet eben auch „no caring“.
Selbst gebaute, zweigeschossige Raum-in-Raum-Lösung, in die man sich zur Stillarbeit einmieten kann. FS-Bürostühle und Sitz-Stehhilfen von Wilkhahn
Hinter einer Glaswand sichtbar ist im zweiten Obergeschoß ein buchbarer Konferenzraum für zwölf Personen integriert, in dem sich auch Vertragspartner aus der „Old Economy“ gut aufgehoben fühlen. Der selbst gebaute Tisch mit einer aus einem Stück gefertigten, fünf Meter langen Massivholzplatte ist hier mit modernen Konferenzsesseln kombiniert, die dem Werkstattcharakter repräsentative Eleganz verleihen und für hohen Sitzkomfort sorgen.
OPEN SPACE FÜR VIEL INTERAKTION
Ganz auf Networking und informelle Interaktion ist dagegen der „Open Space“ ausgelegt, in dem ebenfalls Arbeitsplätze gebucht werden können. Eine Installation vom Künstlerduo „Qintessenz“ aus vertikal abgehängten Textilbahnen unterstützt eine beschwingte Atmosphäre, und die modernen, 3D-dynamischen Bürostühle setzen ebenfalls farbliche Akzente in dem ansonsten eher industriellen Ambiente aus Sichtbeton, Glas, dunkelgrau gestrichenem Estrich, Stahlgestellen und Multiplex-Tischplatten.
Das über 2.000 m² große Angebot für unterschiedliche Arbeitsformen wird durch einen Innovation Space als buchbarer Meetingraum abgerundet, in dem sich Teams mit faltbaren Tischen, stapelbaren Stühlen und mobilen analogen Tafeln und Whiteboards selbst organisieren.
Selbstorganisation und Beteiligung prägen den Innovation Space, der mit mobilen, faltbaren Tischen und robusten, stapelbaren Stühlen ausgestattet ist (Confair-Falttisch und Aline-Stühle von Wilkhahn) Sorgen im Open Space für Farbakzente und Bewegung: eine Kunstinstallation von „Quintessenz“ und die kontrastreich gestalteten 3D-Bürostühle (IN von Wilkhahn)
So wie sich die Architektur des Gebäudes jeder Klassifizierung entzieht, changiert auch die Innenraumgestaltung zwischen Werkstatt, Büro und Gastronomie. Die Ästhetik spiegelt den Gestaltungsprozess wider, der hemdsärmelige Interaktion und Improvisation mit höchster Professionalität verbindet.
Mittlerweile umfasst die Hafven-Community über 1.300 Mitglieder, veranstaltet über 200 Events pro Jahr und gilt für Wirtschaft und Kommunalpolitik als Quelle vielfältiger Innovationen. Für die städtebauliche Präsenz des Gebäudes, die inspirierende bauliche Ausdruckform und das innovative Nutzungskonzept wurden Architekten und Bauherr in 2018 mit dem Niedersächsischen Staatspreis für Architektur ausgezeichnet.